Bauarbeiter sind die besseren Liebhaber

Ich muss Abbitte tun. Dieser ganze biologistische Kram in Bezug auf Mädchen und Jungen stimmt. Zumindest für meine zwei. Nora, obwohl sie immer schon ein wildes, ganz und gar unerschrockenes Kind war, hat andererseits dieses Rosa-Glitzer-Gen, verhätschelt ihre Puppen, liebt ihre Ballettstunde und ihre lila Leggins. Ich habe mir sagen lassen, diese Phase würde spätestens in der vierten Klasse zu Ende gehen. Ich hoffe es sehr, denn dann würde auch die Macht von Prinzessin Lillyfee zu Ende gehen. Und ein fürsorglicher Mensch wird unser Mädchen bestimmt auch in Zukunft bleiben.

Nun also ein kleiner Junge. Meine Hebamme, die selbst fünf Kinder hat und eine sehr emanzipierte, geerdete Frau ist, sagte mir ganz am Anfang: „Jungs sind für Mütter immer auch ein bisschen Liebhaber.“ Puh, dachte ich, das klingt ein bisschen schwül. Er ist noch so klein und hat noch viel Zeit, einen Ödipuskomplex zu entwickeln. Seine sonstige Entwicklung orientierte sich dann ganz an der großen Schwester. Er trägt ihre Puppen herum, schaut mit ihr Bücher an, malt Bilder und rührt lautstark in meinen Töpfen. Außerdem reicht er mir einzelne Fusseln vom Teppich und schleppt bei jeder heruntergefallenen Erbse das Kehrblech heran. Dabei schwöre ich, dass ich eine recht entspannte Auffassung von Sauberkeit habe.

Aber dann gab es da plötzlich etwas Neues: Sein unstillbarer Drang nach allem, was Räder hat. Den ganzen Tag „Brumm, brumm“ oder „Tüta, tüta“, unermüdlich. Erstaunlich auch sein Herumgefuchtel mit Kochlöffeln oder langen Papierrollen, dazu dann „Bamm, bamm!“ oder „Dusch!“. (Woher hat er nur diese Geräusche?) Und natürlich hat er Papas Handwerker-Gene geerbt. Mit großer Begeisterung weist er mich auf jede Schraube am Fensterrahmen hin. Und mit der Aussicht auf eine Baustelle kann ich ihn zu einem halbstündigen Spaziergang rund um den Block bringen. Oft ist das dann nur ein rot-weißes Flatterband, das eine Hecke entlang gespannt ist. Aber auch darüber gerät er ganz aus dem Häuschen.

Gleichzeitig lernt er auch gerade küssen, sehr zart und sehr nass. Ich schmelze dahin. Mein Mann ebenfalls. In einer Elternzeitschrift las ich kürzlich, Väter sollten ihren Söhnen „eine vielschichtige Männlichkeit vorleben“.  Ich glaube, das ist meinem Mann bisher sehr gut gelungen. Und wenn ich sehe, wie Klein-Justus ihn mit seinem Charme um den Finger wickelt, denke ich manchmal, dass das mit dem Liebhaber vielleicht nicht nur für Mütter gilt.

Published in: on 16. März 2010 at 12:20  Comments (2)  
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